Wie es leichter geht, wenn wir dem Kind Zeit und Raum geben - und eine Verlosung
Der nächste Schatz, den ich aus meinem Interview mit Bindungsforscherin Fabienne Becker-Stoll mitgebracht habe, ist ein Beispiel aus einer Kinderkrippe. Die Professorin hat die Gründung einer „bindungs-orientierten Krippe“ in München mit ihrem wissenschaftlichen Rat begleitet.
Mir gefällt der Begriff „bindungs-orientiert“ oder „beziehungs-orientiert“ übrigens viel besser als „bedürfnis-orientiert“, weil Letzterer viele Eltern auf den Holzweg bringt, auf dem sie vergessen, wie wichtig auch die Befriedigung ihrer Bedürfnisse ist. Mein Mantra ist sowieso, dass wir unseren Focus nicht so sehr auf Bedürfnisse richten sollten, sondern auf Möglichkeiten, die in unserem Kind und in uns schlummern. Wenn wir an seine und unsere Größe glauben, wachsen wir da hinein und müssen nicht jede Sekunde denken: was braucht mein Kind jetzt und was brauche ich und wie - um Gottes willen - kriegen wir das alles unter einen Hut?! Wer das nicht ausbalanciert bekommt, erlebt Stress pur.


Prof. Fabienne Becker-Stoll
„Stress ist der größte Feind der Feinfühligkeit.“
Die Worte „bindungs-„ und „beziehungs-orientiert“ zielen auf das Miteinander. Und da der Mensch von Anfang an ein Beziehungswesen ist, das in seiner Einzigartigkeit gesehen werden, sich aber gleichermaßen einfügen möchte in eine Gemeinschaft, finde ich diese Wortwahl viel passender - zumindest für das, was ich vermitteln möchte.

Süß, oder? In der Katzenklo-Familie werden aktuell keine Windeln gebraucht, deshalb suche ich in letzter Zeit gerne Fotos bei Bilderdiensten. Danke Pexels!
Aber dies nur am Rande. Jetzt zu dem Beispiel aus der neu gegründeten Krippe:
Fabienne Becker-Stoll hat erzählt, dass in dieser „bindungs-basiert entwickelten“ Einrichtung in München jede Erzieherin für eine bestimmte Zahl an „Bezugskindern“ zwischen 12 und 36 Monaten zuständig ist. Wenn diese merkt, dass eines „ihrer“ Kinder eine neue Windel braucht, macht sie Folgendes: Sie nimmt eine frische Windel aus dem Regal, hält diese sichtbar in der Hand und hockt sich damit in den Gesichtskreis des Kindes. Sie wartet, bis das Kind sie anschaut, und sagt dann freundlich: „Ich glaube, du brauchst eine neue Windel.“
Mehr tut sie nicht. Sie wartet einfach, was passiert. Anfangs hätten die Mitarbeiterinnen bis zu zehn Minuten auf dem Boden gehockt, bis das Kind kam, um sich wickeln zu lassen. Nach ein paar Wochen aber haben die Kinder die Windel selbst aus dem Regal geholt, wenn sie ins „Trocken-Dock“ wollten.
"Diese Kinder brauchen wahrscheinlich auch viel schneller keine Windel mehr“, warf ich ein. Aber die Professorin widersprach. „Der Zeitpunkt des Trockenwerdens ist und darf bei jedem Kind unterschiedlich früh oder spät sein. Das hat ja physiologische Gründe. Aber dadurch dass die Bezugs-Erzieherinnen den Kindern Raum und Zeit gegeben haben, selbst den Impuls für das Wickeln zu geben, lief die Sauberkeitserziehung völlig problemlos. Es gibt keine Machtkämpfe mehr. Die Veränderung ist phänomenal.“
Dieses Beispiel lässt sich auf viele Situationen mit Kindern übertragen. Es klingt banal, ist es aber bei weitem nicht. Denn es geht darum, das Spüren zu lernen. Das gilt zum einen für das Kind: zu spüren, was brauche ich jetzt für mein körperliches Wohlbefinden, welches Signal gibt mir die vertraute Bezugsperson und wie kann ich mir Unterstützung holen? Zum anderen gilt es für die Erzieherin: Was braucht das Kind im Moment? Wie reagiert es auf meine Signale? Auf diese Weise entwickelt sich mehr und mehr Feinfühligkeit und die Bindung wird gestärkt. Das Kind hat immer weniger Anlass zu schreien oder zu wüten, weil das Wechselspiel immer besser funktioniert.
Wie so oft, ist es unglaublich hilfr
eich, zwischen dem Reiz (oh, es müffelt) und der Reaktion (das Kind wickeln) einen Raum (Sich hinsetzen und freundlich warten) zu lassen. Und ja, ich weiß, im Alltag haben wir oft nicht diese 10 Minuten, um das Kind den eigenen Impuls spüren zu lassen. Aber da ich sicher sein kann, dass es funktionieren wird, dass es nach einer gewissen Zeit viel leichter gehen wird, dass unser Level an gegenseitiger Achtsamkeit steigt und es das Selbstgefühl des Kindes stärkt, würde ich es probieren.
Kurz & knackig
Liebe Fabienne Becker-Stoll, vielen Dank, dass ich dieses Beispiel hier teilen darf.
Ich würde mich riesig freuen, wenn mir jemand berichtet, wie sie oder er es ausprobiert, dem eigenen Kind mehr Raum und Zeit zu geben. Nehmt am besten eine Situation, in der ihr immer wieder in Machtkämpfe geratet: sei es beim Wickeln, Anziehen morgens oder Zähneputzen abends. Weil ihr dafür Geduld und Zeit braucht, ist der Einsendeschluss erst heute in fünf Wochen (Dienstag, 25. Februar 2020, 24 Uhr). Vielleicht könnt ihr ein kleines Tagebuch führen, wie sich die Situation langsam verändert, wie es Rückschläge gibt und Fortschritte und wie ihr und das Kind das Spüren lernt.
Unter denen, die mir ihren kleinen Bericht über ihr Achtsamkeits-Experiment zu schicken, verlose ich dieses Bilderbuch:

Die "Vier-Fragen-Methode" von Byron Katie, mit der ich belastende Gedanken wirksam verscheuchen kann, in diesem Bilderbuch zauberhaft erklärt für Kinder. Für das Alter 5 bis 10 Jahre. Danke, Franziska, für den Buch-Tipp!
Immer fröhlich dem Kind Zeit und Raum geben, um es in seinen Angelegenheiten initiativ werden zu lassen.
Eure Uta
Zum Weiterlesen:
Hier kommt wieder ein Beitrag für Eltern mit älteren Kindern: Die Episode, wie es mir bei meinem Teenager-Sohn geholfen hat, einen Raum zu lassen zwischen Reiz und Reaktion.
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