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Channel: Kita – Wer ist eigentlich dran mit Katzenklo
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Studenten, ein Maulwurf und ein wütendes Kleinkind

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Wie man damit umgeht, wenn ein kleiner Junge weiß, welchen "Knopf" er "drücken" muss.

Am Wochenende waren alle da: mein Mann, Prinzessin sowieso und Kronprinz mit seiner Freundin. Dazu noch Besuch und im Garten ein Maulwurf, der alles aufwühlt, was wir im Spätsommer an Rasen frisch eingesät hatten. Was der Maulwurf mit dem Besuch zu tun hat, ist mir selbst nicht klar. Aber in den Einsteig sollte alles rein, was mich gerade beschäftigt.

Nun sind alle abgereist und Prinzessin ist zur Schule geradelt. Ich liebe es, dann alles aufzuräumen, die noch feuchten Duschtüscher in die Waschmaschine zu stopfen, die Zimmer zu lüften und - die Dinge ordnend - auch meine Gedanken zu sortieren. Balance ist alles, oder? Nach Trubel brauche ich Ruhe, nach Gruppen-Bummeln in der Stadt freue ich mich auf Alleinzeit zu Hause, nach großem Umtrieb in der Küche mit Kürbis-Schlachten und Scones-Backen werden wir Mädels uns heute Abend auf das Sofa lümmeln, „Queer eye“* gucken und Reste essen.

*

Jetzt mache ich von den großen Kindern einen Sprung zu den Kleinen: eine Zeitlang pflegte man zu sagen: „Das Kind will ja nur Aufmerksamkeit.“ Man kam zum Glück davon weg, jedes Verhalten auf das schlichte Buhlen um Aufmerksamkeit zurückzuführen und Kinder und ihre Signale nicht ernst zu nehmen. Nur heute haben wir das andere Extrem: mit Verhalten zu steuern und für unerwünschtes Verhalten keine Aufmerksamkeit zu geben, wird so schnell mit Liebesentzug gleich gesetzt wie unser Schilddrüsen-kranker Kater mittags seine Dose Thunfisch verschlingt.

Liebesentzug - davor haben wir Eltern alle Angst. Den meiden wir wie die Pest. Dabei gibt es durchaus Verhaltenssignale, die kein Liebesentzug sind und uns helfen, kleine Schutzbefohlene zu führen. So können wir unseren Alltag auf eine Weise gestalten, die verhindert, dass aus der ganzen Nummer mit den Kindern ein Riesen-Liebesentzug für uns selbst wird. Das beste Beispiel dafür stammt von der Schweizer Therapeutin Rita Messmer. Wenn das Klein-Kind auf meinem Schoß nicht aufhört, mir die Brille von der Nase zu reißen, setze ich es kurz auf den Boden. Ich muss nicht schimpfen oder böse sein. Kurze Zeit später kann ich es wieder hoch nehmen. Nur wenn es erneut nach den Gläsern greift, landet es wieder sanft auf dem Boden. Bald wird es das Signal verstanden haben, ohne dass ich schimpfen oder mit negativen Gefühlen Druck ausüben musste und wir können die innige Nähe genießen.

*

Am Freitag habe ich eine Mama gecoacht, die einen eher ruhigen siebenjährigen Sohn und einen Zweijährigen hat, der zu Hause alles aufmischt. Der Zwerg besteht darauf, jeden Mittag nach der Kita zu Hause die Tür aufzuschließen, auch wenn der Bruder dringend auf die Toilette muss und alles viel zu lange dauert. Bei den Schularbeiten des Großen rastet der Kleine aus, wenn er nicht auch die Schulstifte seines Bruders benutzen darf. Identische Stifte, von der Mutter nachgekauft, werden nicht akzeptiert. Fast jedes ‚Nein‘ führt zu einem Anfall mit Zerstörungswut. Er wirft dann etwas runter, beißt seinen Bruder oder tritt nach der Mama. 

Wir haben 90 Minuten intensiv gesprochen. Bekommt der Kleine genug Nähe? Hat er ausreichend Gelegenheit, sein Autonomie-Streben auszuleben? Alles ist erfüllt. Für den Zweitgeborenen hat diese Mama aufgehört zu arbeiten, während sie eineinhalb Jahre nach der Geburt des Großen wieder in den Beruf gegangen war. Sie ist jetzt sogar ganz zu Hause, nimmt sich viel Zeit für beide Kinder und geht exklusiv mit dem „Wut-Zwerg“ einmal die Woche zu einer Kinder-Turnstunde, was ihm auch sehr wohl tut, ihn aber nicht hindert, auch nach dem Turn-Nachmittag mit Mama einen Riesen-Aufstand zu machen, wenn sie ihm mit irgendeinem ‚nein‘ kommt.

Durch unser Gespräch zog sich wie ein roter Faden das Bild „good cop - bad cop“. Die Mama sieht ihre Jungs offensichtlich in der Gefahr, diese Rollen einzunehmen. Immer wieder erwähnte sie das. Klar wurde, dass sie um jeden Preis vermeiden will, dass dem Älteren die Rolle des braven Kindes zugeschrieben wird, während für den Kleinen nur noch der Part des Bösewichts übrig bleibt.
Schließlich ging ihr in unserem Gespräch auf, dass sie ihrem Jüngsten gegenüber nicht klar war und ständig über ihre eigenen Grenzen ging, um diese Rollenzuschreibung zu vermeiden. So duldet sie Verhalten, dass tatsächlich „bad“ ist (Schlagen, Beißen, Dinge absichtlich kaputt machen). Und so steuert sie ihn genau in die Rolle, die sie für ihn vermeiden wollte. Dem Kleinen war schnell klar, dass er diesen „Knopf“ jederzeit „drücken“ kann. „Ich brauche nur etwas richtig Schlimmes zu machen, dann ist Mama zu Stelle, damit ich nichts kaputt mache und ich mir nicht weh tue. Und sie sieht es als nicht wirklich schlimm an, was ich tue, weil sie mich nicht als böse abstempeln will.“ (Natürlich auf einer wenig bewussten, aber umso emotionaleren Ebene bei dem Zweijährigen.) Er bekommt permanent Aufmerksamkeit für ein unerwünschtes Verhalten, das sich dadurch verstärkt - und das tut es, ob uns diese Logik gefällt oder nicht.

Die Veränderung für diese Mama beginnt damit, ...

  • sich ihrer unglücklichen good-cop-bad-cop-Vermeidungsstrategie bewusst zu werden
  • sich klar zu machen, dass sie ihren wilden Jüngsten genauso liebt wie ihren großen Braven und dass es dieser Liebe keinen Abbruch tut, wenn sie deutlicher für ihre Grenzen einsteht (Nein, wenn es eilig ist, darf er die Haustür nicht aufschließen.)
  • sich in einer ruhigen Minute klar zu werden, in welchen Situationen der Kleine seinem Autonomie-Streben gerne nachgehen darf, und in welchen Situationen sie dazu klar ‚nein‘ sagen möchte
  • sich zu überlegen, an welchen Aufgaben der Älteren und Erwachsenen er gerne mitwirken darf und welche vielleicht zusätzlich geschaffen werden können, und was aber auf keinen Fall toleriert wird (z.B. Schulstifte des Großen beschlagnahmen)

Soweit für heute. 

Nun möchte ich noch schnell verkünden, wer den Kinder-Adventskalender „Der andere Advent“ gewonnen hat. Es ist „Busyizzy“. Herzlichen Glückwunsch! Bitte maile mir deine Post-Anschrift. 

Immer fröhlich gucken, welche „Knöpfe“ die Kinder bei uns „drücken“, und mir schreiben, wie ihr das seht mit der Aufmerksamkeit und dem Liebesentzug,

Eure Uta 

* Netflix-Serie, die wir gerade mit Begeisterung sehen. Und wups ... ist dieser Beitrag Werbung.

Zum Weiterlesen:

* Vor wenigen Monaten hatte ich schon mal über Wutausbrüche beim Kleinkind geschrieben.

* Um Ausrastet bei einem etwas älteren Kind (Vorschule) geht es in diesem Beitrag.

* Der kleine Junge aus dem Coaching hat einen großen Autonomie-Drang. Es kommt aber auch vor, dass ein Kind eher Nähe braucht und wir es nicht drängen sollten, etwas allein zu machen. Für alle, die dieses Thema betrifft, ist mein Beitrag  "Kinder brauchen keine Autonomie-Übungen."


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