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Und Papa schläft im Kinderzimmer?

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Warum Kind-zentrierte Schlaflösungen nicht immer die besten sind.

In den vergangenen Monaten hatte ich mehrfach mit Familien zu tun, bei denen sich die Eltern nachts aufteilen: Das kleinere Kind schläft bei Mama im Elternschlafzimmer, dafür legt sich Papa zum größeren Kind ins Kinderzimmer. Ich schreibe bewusst „dafür“, weil in den Gesprächen deutlich wird, dass die Eltern einen Ausgleich dafür schaffen wollen, dass eines der Kinder bei Mama schlafen darf.
Es mag Familien geben – unsere eingeschlossen -, in denen diese Schlaf-Konstellation in besonderen Situationen (Krankheit oder andere Krisen) eine Hilfe sein kann für ein paar Nächte. Bei den Eltern, mit denen ich jüngst zu tun hatte, war diese nächtliche Aufteilung jedoch zur Gewohnheit geworden. Zum Teil über Jahre bis in die Schulzeit der Kinder hinein. Und mindestens einer der Beteiligten gestand irgendwann, nicht glücklich zu sein mit dem Nächtigen im Kinderzimmer oder damit, den Partner selbst zur Schlafenszeit mit den Kindern teilen zu müssen.
Wegen der Häufung der Fälle habe ich dazu recherchiert. Mein Eindruck ist: das sogenannte Familienbett, in dem alle gemeinsam die Nacht verbringen oder verschiedenste Formen, bei denen die Kinder bei den Erwachsenen schlafen dürfen oder umgekehrt die Erwachsenen bei den Kindern schlafen, setzen sich immer mehr durch.
Begründet wird das mit der Ur- und Frühgeschichte des Homo sapiens: Babys, die nicht direkt neben ihren Eltern am Lagerfeuer geschlafen hätten, hätte der Säbelzahntiger geholt. Diese Angst vor dem Raubtier und vor dem Alleinsein ist dem Baby evolutionär einprogrammiert. Deshalb geraten Babys in Panik, wenn sie allein gelassen werden.
Zum Glück gehört das heute zum Grundwissen von Eltern: SCHREIENDE BABYS NICHT ALLEIN LASSEN! Und hätten wir nochmal mit einem Säugling zu tun, würden auch wir ein großes Familienlager einrichten. Aber gilt das auch für das etwas größere Kind im Kita- oder sogar Schul-Alter? Kann dieses nicht langsam lernen, die Säbelzahntigerangst selbst in den Griff zu bekommen? Zumal es jetzt ja flüchten und ins Bett der Eltern klettern kann, sollte nächtens mal Angst aufkommen? Könnte das Schlafen im eigenen Zimmer das Kind sogar stärken und ihm Selbstvertrauen geben?
Für Familien, die die Erwartung stresst, alle müssten wie die Waltons beieinander schlafen, möchte ich von Anke erzählen. Als Anke und ihr Mann ihr erstes Kind bekamen, war klar, dass das kleine Mädchen mit im Elternschlafzimmer übernachten würde. In einem Baby-Bett, das man an das große Bett hängen kann. Soweit so schön. Nach ein paar Wochen aber fing Klein-Lisa an, mitten im Schlaf Geräusche zu machen. „Es war,“ erinnert sich Anke, „als hätte ein Klein-Tier-Zoo seine Pforten geöffnet. Ein beständiges Schmatzen, Grunzen und Quieken.“ So süß Anke das tagsüber fand, nachts rissen diese Geräusche sie aus der Tiefschlafphase. Morgens war sie völlig gerädert. Drei oder vier Wochen versuchte sie es weiter. Aber als selbst Ohrstöpsel nicht halfen, suchte sie das Gespräch mit ihrer Hebamme. Diese fand, dass eine Anke, die ein Mindestmaß an Schlaf bekam, eine bessere Mama sein konnte, als eine Co-sleeping-Mama, die auf dem Zahnfleisch geht. So wurde Lisa abends nach dem Stillen in das kleine Zimmer direkt neben dem Schlafzimmer gelegt, beide Zimmertüren blieben offen. Zum Stillen stand Anke nachts einmal auf und dann um fünf Uhr früh noch einmal. Nach dem Stillen in den Morgenstunden schlummerten Mama und Kind nebeneinander ein. Dann gab es auch keine Grunzgeräusche. Insgesamt verlief die Nacht für beide ruhiger. Lisa wurde gehört und versorgt, wenn sie sich bemerkbar machte, und Anke hatte wieder eine Tiefschlafphase von mindestens vier Stunden am Stück.
Als dann knapp zwei Jahre später Lisas kleiner Bruder Fritz geboren wurde, schlief dieser – weil kein Grunzer – ein gutes Jahr lang bei Mama und Papa im Elternschlafzimmer und Lisa weiter in ihrem Zimmer. Dies ist der Zeitpunkt, an dem einige Eltern den Impuls haben zu rufen: „Das ist doch ungerecht!“ und das große Geschwisterkind wieder ins Schlafzimmer holen würden, weil sie denken, es könnte sich sonst eine Eifersucht entwickeln.
„Hast du dir darüber keine Sorgen gemacht?“, fragte ich Anke. „Nein. Das war gar kein Thema.“ Und Lisa hätte sich auch nicht sonderlich für Fritz interessiert am Anfang. „Ich bin überzeugt, dass wenn ich als Mutter schon dieses schlechte Gewissen habe, dann springen die Kinder sofort darauf an.“
Inzwischen sind Lisa und Fritz sechs und vier Jahre alt. Fritz ist in ein eigenes Zimmer gezogen, als er ein Jahr alt war. Die Kinder streiten sich mal, aber eine ausgeprägte Eifersucht hat sich nicht entwickelt. Zwischenzeitlich haben beide Geschwister in einem Zimmer geschlafen, aber weil Fritz sich gerne selbst in den Schlaf singt und Lisa das nicht aushält, übernachten beide doch wieder in eigenen Zimmern. Sollte sie nachts mal irgendetwas brauchen, ist Papa für sie zuständig. So hat es das Paar vereinbart. Alle paar Nächte kommt es vor, dass der Vierjährige sich zu Papa kuschelt, dann aber nach ein paar Minuten sagt: „So Papa, jetzt kannst du mich wieder rüberbringen.“
Für Lisa und Fritz beginnt zwischen 19 und 19:30 Uhr das Abendritual mit Waschen, Zähneputzen und gemeinsamem Geschichte-Vorlesen. Abwechselnd darf sich eines der Kinder ein Buch aussuchen. Für Anke ist das pünktliche Abendritual eine wichtige Regel. „Mein Mann und ich sehen uns den ganzen Tag nicht. Dass wir abends Zeit füreinander haben, ist mir heilig.“ Ja, und es passiere, dass Fritz nochmal runter komme, weil er zur Toilette möchte oder wissen will, was Papa und Mama gerade machen. Das sei kein Drama und ebenso klar sei, dass er zeitnah zurück ins Bett gebracht werde. Sie würde sich nie daneben legen, sagt Anke, weil sie dann sofort einschlafen würde und auf die einzige Partnerschafts-Zeit des Tages verzichten müsste.

Aus dem Gespräch mit Anke und aus meiner kleinen Buch-Recherche habe ich Folgendes mitgenommen:

  • Im ersten Lebensjahr hat es Priorität, sich nach den Bedürfnissen des Säuglings zu richten. Viel Körperkontakt, Stillen nach Bedarf, nicht allein schreien lassen, viel am Körper tragen, es bei sich schlafen lassen. Keine Diskussion!
  • Aber auch Eltern, die mit einem Familienbett nicht zurecht kommen, müssen kein schlechtes Gewissen haben. Das Beispiel von Anke zeigt, dass es auch andere Lösungen gibt, nachts feinfühlig auf die Bedürfnisse eines Babys zu reagieren.
  • Etwa zum ersten Geburtstag des Kindes ist die Zeit reif, um zu gucken, ob alle Familienmitglieder glücklich mit dem Abendprogramm und der Schlafsituation sind. So langsam muss sich nicht mehr alles um das Kind drehen.
  • Zum vorherigen Beitrag schrieb meine Leserin Elisabeth folgenden – wie ich finde – treffenden Satz: „Bedürfnisorientierung hat in der Babyzeit einen besonderen Stellenwert und rückblickend stellt sich der Übergang von der Babyzeit in die Kleinkindzeit in Hinblick auf den richtigen Grad an Bedürfnisorientierung als größte „Stolperfalle“ dar.“
  • Um die „Stolperfalle“ zu vermeiden, hilft es, wenn Eltern sich nach einem Jahr, in dem sie mit Haut und Haar für das Baby da waren, fragen: Was brauche ich in Zukunft abends, wie sollte meine Nacht sein, damit ich morgens gut in den Tag starten kann? Was brauchen wir als Paar, um die Nähe zueinander nicht zu verlieren?
  • Wenn ein weiteres Kind kommt, haben wir Erwachsenen schnell das Gefühl: „Oh, jetzt wird unser Kronprinz entthront! Da müssen wir ausgleichen und gegensteuern.“ Natürlich ist es für das Erstgeborene eine große Veränderung, wenn ein Geschwisterkind kommt und natürlich braucht es auch mal exklusive Zeit mit Mama oder Papa. Ich habe aber das Gefühl, dass manche Eltern das Eifersuchtsthema vorweg durch ihre Sorge so richtig befeuern. Vielen Familien würde es gut tun, den Ball etwas flacher zu halten und das Kind mit ihrer ängstlichen Erwartung nicht in die Eifersucht hinein zu steuern.
  • Ein Kind hat sehr feine Antennen für die Stimmungslagen seiner Eltern. Es spürt, wenn sie ihm nicht zutrauen, in einem eigenen Zimmer zu schlafen. „Wenn Mama und Papa es nicht für sicher halten, im eigenen Zimmer zu schlafen,“ so funkt sein Unterbewusstsein, „dann kann ich der Lage nicht trauen.“ Die Unsicherheit der Eltern, ob sie ihm das zumuten können, wird das Kind mehr verunsichern als die Tatsache, allein in einem Bett zu liegen.
  • Körperliche Nähe – so dachte ich früher – kann es gar nicht genug geben. Das ist wie eine Garantie für ein gesundes Selbstbewusstsein in späteren Jahren. In Remo Largos Baby-Buch aber habe ich in dem Kapitel über Schlafverhalten folgendes Zitat gefunden, das mich aufgerüttelt hat:

Eine möglichst große Nähe und Enge in der körperlichen Beziehung wird häufig mit psychischem Wohlbefinden und einer starken Bindung gleichgesetzt. Dies ist jedoch eine zu einseitige Vorstellung von der Entwicklung der emotionalen Sicherheit, denn auch Selbstständigkeit trägt wesentlich zum Sichgeborgenfühlen und zu Selbstvertrauen bei.

Remo Largo: Babyjahre. Entwicklung und Erziehung in den ersten vier Jahren. Vollständig überarbeitete Neuausgabe. München 2017, Seite 215)
Ich möchte dir nicht das Familienbett oder andere Co-Sleeping-Lösungen ausreden, wenn das für euch funktioniert. Nur wenn ihr das Gefühl habt, es entwickelt sich nicht in eine gute Richtung, alles dreht sich nur noch um die Kinder, die Erwachsenen haben weder Zeit als Paar noch für sich allein, es gibt kaum noch Möglichkeiten, für sich selbst mal wieder Kraft zu schöpfen, das Elternsein frisst einen auf mit Haut und Haar, dann ist es vielleicht eine Idee, sich die Schlafsituation der Familie näher anzuschauen. Denn die ist für alle eine wichtige Kraftquelle.
Familienleben heute hat sich-  vor allem in gebildeten Schichten – zu einer sehr Kinder-zentrierten Angelegenheit entwickelt. Dass dieser Fokus nicht gut tut, habe ich selbst erlebt. Deshalb möchte ich Eltern helfen, nicht in diese Falle zu tappen. Wie sehr erleichtert das den Alltag! Wie sehr bringt es Kinder in ihre eigene Kraft!
Immer fröhlich zu seinen eigenen Schlafbedürfnissen stehen,
eure Uta

PS: Das Titelbild ist von Tatiana Syrikova von Pexels. Vielen Dank!


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